Die Geometrie ist ein wichtiger Faktor beim Kauf eines neuen Bikes, der leider viel zu oft nicht bedacht wird. Sie hat erheblichen Einfluss auf das Handling und sollte mehr Beachtung finden als andere Faktoren wie Design und Farbe.
Die Länge und die Form der Rohre, sowie die Winkel in denen sie zueinander liegen, werden am Ende ausschlaggebend sein wenn es darum geht, wie schnell ein Rad beschleunigt oder wie stabil es sich in den Kurven verhält. Je nach der körperlichen Beschaffenheit, kann die Geometrie am Ende der entscheidende Faktor dafür sein, wie komfortabel der Fahrer später auf seinem Rad sitzt.
Man kann alles an seinem Rad verändern, nur die Geometrie nicht. Sie ist festgelegt wie die DNA bei uns Menschen. Lenker und Sattel lassen sich auf die jeweiligen Bedürfnisse einstellen. Faktoren wie der Radstand als Schlüssel zur Stabilität oder die Länge der Kettenstreben mit entscheidenem Einfluss auf die Beschleunigung sind unveränderbar. Die Auswirkungen die das komplexe Zusammenspiel von Steuerrohrwinkel, Gabel-Vorbiegung und Nachlauf aufeinander haben, sind am Ende ausschlaggebend dafür wie gut das Bike in der Handhabung ist.
Auf den nächsten Seiten werden wir jedes einzelne Rohr und die entsprechenden Winkel des Chassis genauer betrachten. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Qualität eines guten Bikes auf dem Zusammenspiel der einzelnen Komponenten beruht. Nimmt man bei der Gestaltung seines Rennrads Änderungen an einem Element vor, muss man sich bewusst sein, dass dies ziemlich sicher Auswirkungen auf die Fahreigenschaften oder andere Teile hat.
Das Oberrohr
Das Oberrohr bestimmt den Abstand zwischen Sitz- und Steuerrohr und hat somit nicht nur signifikante Auswirkungen auf den Sitzwinkel oder die Sattelposition, es bestimmt die komplette Länge des Rahmens.
Für Rahmenbauer stehen die Länge des Oberrohrs und das Einsatzgebiet des Bikes in engem Zusammenhang. Ein Rad mit Komfortanspruch hat in der Regel ein etwas kürzeres Oberrohr, dafür ist das Steuerrohr aber ein wenig höher. So befindet sich der Fahrer in einer weniger aggressiven Sitzposition als bei reinen Racebikes und das Verhältnis von Sattel- und Lenkerhöhe ist ausgewogener.
Für ein Race-Bike wünschen sich viele Fahrer einen sehr niedrigen Lenker um dem Wind weniger entgegenzusetzen. Rahmen, die auf Straßenrennen ausgelegt sind, haben ein längeres Ober- und ein kürzeres Steuerrohr. Auf diese Weise soll eine niedrigere Lenkerposition erreicht werden.
Rennräder mit gestreckter Geometrie werden aufgrund ihrer aerodynamischen Eigenschaften von Profis bevorzugt.
Die Form des Oberrohrs ist ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt. Sein vorderes Ende unterliegt Drehkräften aus der Lenkung und es ist wichtig, dass die Stabilität nicht darunter leidet.Viele Hersteller experimentieren heute mit großen Durchmessern oder Dreiecksprofilen um hohe Verwindungssteifigkeit bei geringen Gewichten zu erzielen. Ob ein Rad an der komfortabel ist oder nicht, entscheidet maßgeblich das Frontdreieck aus Steuerrohr, Ober- und Unterrohr – weniger der Hinterbau.
Bei Carbonrahmen wird das Oberrohr in Richtung der Verbindungsstelle zum Steuerrohr bei sehr vielen Rahmenbauern breiter oder volumiger. Das soll laut den Rahmendesignern etwas mehr vertikalen Flex in der Mitte des Rohres erlauben und vom Vorderrad stammende Stöße abfangen.
Das Steuerrohr
Widmen wir uns dem Steuerrohr. Bei Komfortbikes fällt es in der Regel etwas länger aus als es bei Race-Bikes der Fall ist. Wir thematisieren auch die Kräfte, die beim Lenken auf das Steuerrohr wirken.
Ein gut durchdachtes Steuerrohrprofil kann viele Drehkräfte abmildern und sollte so steif wie möglich sein. Die Kunst ist es aber zu erreichen, dass der Fahrer so wenig wie möglich von dieser Steifigkeit merkt. Es ist eine Gradwanderung dabei ein gutes Gleichgewicht zu finden.
Aerodynamische Rennräder erfreuen sich immer größerer Beliebtheit und in der Saison 2015 werden so viele Aero-Modelle wie nie zuvor auf der Straße zu sehen sein. Ein Beispiel dafür ist das Lapierre Aircode, welches wir erst kürzlich getetestet haben.
Die Gestaltung des vorderen Bereichs hat sicherlich einen sehr großen Einfluss auf die aerodynamischen Eigenschaften. Zusätzlich wird der Schwerpunkt aber gerade bei Carbonrahmen auch auf das Oberrohr gelegt. Rahmendesigner Gribaudo von Lapierre hat beim Entwickeln des Xelius EFI, einem Schwestermodell des Aircode, den Durchmesser des Steuerrohrs verkleinert. Das hat neben der Reduzierung von einwirkenden Kräften auch ein weniger träges Gefühl für den Fahrer zur Folge.
In vielen Rahmen, egal aus welchem Material, sind heute konische Steuerrohre verbaut. Der Zweck ist nicht nur die optische Anpassung an die auch spitz zulaufenden Gabelschäfte (dazu später mehr), sondern vielmehr damit, eine sinnvolle Relation zu Ober- und Unterrohr zu schaffen.
Die konische Form des Steuerrohrs resultiert aus der Betrachtung der anderen Teile. Die größere Oberfläche erlaubt es mit größeren Unterrohren zu arbeiten und mit verschiedenen Formen zu experimentieren. Ein konisches Steuerrohr und die heute leichteren, aber dennoch steiferen Gabeln, geben mehr Spielraum beim Designen von Ober- und Unterrohr.
Steuerrohr-Winkel, Gabel-Vorbiegung und Nachlauf
Wenn es einen Zusammenhang zwischen dem Winkel des Steuerrohrs und dem Winkel des Sitzrors gibt, dann ist dieser genau so undurchsichtig wie die Beziehung zwischen Steuerrohrwinkel, Gabel-Vorbierung und Nachlauf. Die Anpassung des Steuerrohrwinkels hat tatsächlich den gleichen Effekt, wie die Anpassung der Gabel-Vorbiegung, die der beliebteste Lösungsansatz für Mountainbikedesigner ist.
Der klassische Winkel des Steuerrohrs bei Rennrädern beträgt 73 Grad. Ein größerer Winkel würde das Handling des Bikes vereinfachen, ein kleinerer Wert hätte eine bessere Stabilität zur Folge.
Es macht keinen Sinn, nur den Winkel des Steuerrohrs zu betrachten. Wir können nicht über den Winkel des Steuerrohrs sprechen, ohne auch auf die Gabel-Vorbiegung und den Nachlauf einzugehen.
Der Nachlauf findet viel zu wenig Beachtung. Die meisten Menschen betrachten nur die Gabel-Vorbiegung und entscheiden dann wie gut sich das Bike handeln lässt. Dabei lassen sie die Beziehung zum Steuerrohr-Winkel und dem daraus resultierenden Nachlauf komplett außer Acht. Dabei sind diese Parameter sehr wichtig für das Rennrad-Handling.
Auch hier sprechen wir über feine Unterschiede. Entwickler Gribaudo von Lapierre erzählt, dass der Unterschied der Biegung zwischen Lapierre’s Race-Bike Xelius EFI und dem performanceorientierten Sensium gerade mal 4mm beträgt. Er sagt, es geht darum den besten Kompromiss zwischen Handling und Komfort zu finden und merkt auch an, dass eine stärkere Biegung mehr Komfort aufgrund einer besseren Stoßdämpfung bietet.
Die Gabel-Vorbiegung steht in direktem Zusammenhang zum Nachlauf und dem Winkel des Steuerrohrs. Ein Nachlauf zwischen 56mm und 58mm ist in der Regel normal. Er beruht auf einen Steuerrohr-Winkel von 73 Grad und einer Gabel-Vorbiegung von 43mm.
Wir würden das nicht als perfekte Geometrie bezeichnen, aber es ist vermutlich die gängigste. Wenn man ein normales Rennrad ohne besondere Geometrie entwicklen möchte, arbeitet man mit einem Steuerrohr-Winkel von 73 Grad und einer Gabel-Vorbiegung von 43mm. Allerdings könnte ein größerer Nachlauf helfen, wenn das Rennrad etwas laufruhiger abrollen soll.
Für viele Rahmendesigner gibt es keine festen Vorgaben nach denen man den Winkel des Steuerrohrs, die Gabel-Vorbiegung und den Nachlauf festlegen muss. Zahlreiche traditionelle Rahmenbauer würden sagen, ein Steuerrohr-Winkel von 73 Grad und eine Gabel-Vorbiegung von 43mm seien optimal und jeder von ihnen wird seine eigenen Hintergedanken zu dem Thema haben.
Die verschiedenen Einsatzgebiete der einzelnen Bikes haben auch Einfluss darauf, für welche Winkelgrößen sich die Designer entscheiden. Bei den aktuellen Komfortbikeseiniger Hersteller wird auf einen kürzeren Nachlauf als bei konventionellen Geometrien Wert gelegt. Man muss hier berücksichtigen, dass mehr Gewicht auf der Front lastet und es kommen die Vorteile eines kürzeren Nachlaufs ins Spiel. Das Rad neigt weniger zum „Flattern“ und gibt das Gefühl von größerer Agilität.
Das Unterrohr
Das Unterrohr ist die Verbindung von Steuerrohr und Tretlager und unterliegt an beiden Enden enormen Kräften. Die Drehkräfte beim Lenken wirken auf die Verbindungsstelle zum Steuerrohr und das Treten in die Pedale auf das Tretlager. Genau wie der Radstand, beruht auch die Länge des Unterrohrs darauf, wie lange die Designer Steuerrohr, Sitzrohr und Oberrohr gestaltet haben.
Bei Carbonrädern sind die Unterrohre über die letzten Jahre kontinuierlich größer geworden. Bei Cipollini und den Rädern aus Trek’s Madone Serie macht sich das am meisten bemerkbar. Rohre mit großen Duchmessern bieten mehr Steifigkeit.
Die Steifigkeit eines Carbonrahmens beruht in erster Linie auf der Qualität der verwendeten Fasern. Natürlich sind aber auch der Aufbau und der Rohrdurchmesser sehr wichtige Punkte. Die Wandstärke und somit auch das Gewicht resultieren daraus, für welche Fasern sich der Designer entscheidet.
Nutzt er günstigere Kohlenstofffasern mit 24.000 Filamenten, wie zum Beispiel Toray’s T700, kann er die Kosten niedrig halten. Allerdings muss er dann mit mehreren Schichten arbeiten um ähnliche Steifigkeitseigenschaften zu erreichen, wie sie teurere Fasern aufweisen. Wenn man einen leichteren Rahmen bauen möchte, sollten Fasern mit 30.000, 40.000 oder 46.000 Filamenten benutzt werden. Diese sind zwar teurer, haben aber auch bessere Eigenschaften in Sachen Steifigkeit. So ist es möglich ein, zwei oder sogar drei Schichten weniger verarbeiten zu müssen um die gleiche Steifigkeit zu erreichen.
Einige mit Stahl arbeitende Designer bauen dennoch keine größeren Unterrohre. Der Grund dafür ist einfach. Es macht keinen Sinn. In erster Linie liegt es daran, das Stahl von Natur aus ein sehr steifes Material ist, benötigt man keine ghrößeren Durchmesser. Aufgrund des Verhältnisses von Steifigkeit zu Gewicht, sowie der Härte des Materials, ist es auch nicht notwendig mit gleichen Wandstärken wie beispielsweise bei Titan oder Aluminium zu arbeiten.
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