Das Bianchi Oltre XR2 wurde vor einem Jahr als Nachfolger des Oltre XR vorgestellt und hatte unsere Kollegen in der Londoner Redaktion bei einer Testfahrt von seinen Qualitäten überzeugt. Nun hat auch RCDE Hand an den Italo-Boliden gelegt und das Oltre XR2 in Top-Ausstattung über die Piste gejagd.
Kein Fahrradhersteller außerhalb Italiens zelebriert eine Testradübergabe und Rücknahme derart vollendet wie es die Traditionsunternehmen Bianchi, Pinarello, Colnago und Co. tun. Da wird vor jeder Fahrt noch einmal das komplette Rad gesäubert, alle Komponenten auf Funktion geprüft und penibel die Sitzhöhe eruiert und justiert. Die Übergabe gleicht eher derer eines Neuwagens in einem der hochmodernen Premium-Auto-Tempel. Preislich gesehen kann es dabei zwischen einem Kleinwagen und einem High-End-Rad auch schon mal eng werden.
Das Bianchi Oltre XR2 war an unserem Testtag unter 19 Rennmaschinen nach einhelliger Meinung das schönste Rad im Test. Die Lackierung wirkt in der TT-Version (Schwarz/Graphite) sehr edel und aggressiv. So müsste wahrscheinlich Batmans Rennrad aussehen.
Bianchi-Puristen würden an dieser Stelle mahnend anmerken, dass ein Bianchi selbstredend im traditionellen Farbton Celeste zu kaufen ist. Immerhin taucht die Farbe aber in einigen Schriftzügen auch bei der schwarzen Version auf. Ansonsten gibt es mit der Variante Celeste/Schwarz auch Futter für traditionsbewusste Bianchi-Tifosi.
Rahmen und Gabel des Bianchi Oltre XR2
Riesig war der Unterschied nicht, als Bianchi das Oltre auslaufen ließ und das XR2 präsentierte. Die Gabel wurde aerodynamisch mit in das Unterrohr-/Steuerrohr-Design integriert, alles wurde etwas kantiger und bulliger – im Wesentlichen aber stecken die Neuerungen im Detail.
So setzt Bianchi inzwischen ebenso auf ein integriertes BB86-Innenlager wie viele andere Hersteller reinrassiger Speedmaschinen auch. Bei BB86 werden ähnlich dem BB30-Standard die Kugellager in den Rahmen gepresst und von außen Lagerschalen aufgeschraubt. In Summe ergeben Rahmen mit BB86 und BB90, aber auch mit BB30 extrem steife Tretlager, die auf eine maximale Konversion von Kraft in Geschwindigkeit konzipiert sind.
Ausgehend vom Tretlager nutzt Bianchi am Oltre XR2 ein ungemein wuchtiges Unterrohr in einer an den Spitzen abgerundeten Diamantform. Die Form wird bei allen Varianten durch eine Zweifarblackierung hervorgehoben. Bei der Konzeption des Oltre XR2 hatte Bianchi auch aerodynamische Aspekte im Hinterkopf und entwickelte einen besonders schönen Übergang vom Unterrohr in das Steuerrohr und zur Gabel. Sicherlich gibt es unter den neuen Aero-Modellen der kommenden Saison noch windschlüpfrigere Kombinationen, rein optisch gehört dieses Design aber sicher zu den gefälligsten.
Integrierte Züge sind bei Rädern der Mittel- und Premiumklasse längst Standard. So natürlich auch bei Bianchi Oltre XR2, welches einen Einlass am Steuerrohr für die Hinterradbremse, sowie zwei Zug- und Kabeleinführungen am Unterrohr für mechanische und elektronische Schaltungen anbietet.
Das zur Stütze hin etwas schlanker werdende Oberrohr weist nur geringes Sloping auf. Dabei beschreibt es eine kleinen Bogen und müsste sich, hätte man die Züge nicht integriert, den Vorwurf einer Halterung für Wäscheleinen gefallen lassen – was in der Regel nicht besonders positiv gemeint ist. In dieser Konstellation wirkt der leichte Bogen aber stimmig. Bei Rahmengröße 55 bringt das Oberrohr 550mm Länge mit sich, während das Steuerrohr mit 145mm recht kurz ausfällt.
895 Gramm Gewicht stehen bei dieser Rahmengröße auf der Waage. Das ist ein sehr guter Wert, reicht aber nicht ganz für Podestplätze in dieser Klasse.
Die Aero-Sattelstütze verlängert rein optisch das Sattelrohr auf fast voller Ausprägung. Danach verschmälert sich das Sattelrohr um wiederum luftstromoptimiert dem Hinterrad Platz zu machen. Die Vollcarbon-Sattelstütze gehört übrigens zum Frameset (3299.- Euro) dazu und wird mit einer oben liegenden Klemme fixiert. Leider übernimmt die Alu-Klemme nicht ganz die schöne Linie des Oberrohrs.
Soll eine elektronische Schaltung installiert werden, ermöglicht die Stütze des Bianchi Oltre XR2 die Installation des neuen Rahmenakkus Shimano SM-BTR2 und führt die Steuerkabel über zwei Auslässe an Sattelrohr und rechter Kettenstrebe zu Umwerfer und Schaltwerk.
Auch am Hinterbau ist der Italo-Renner aus Treviglio eigenständig und bietet mit einer gelochten Bremsplatte quasi eine belüftete Hinterradbremse. Auf Aero-Bremsen verzichtete Bianchi dabei.
Einen ziemlich eindeutigen Hinweis auf durchaus gewünschten Komfort geben die recht filigranen Sitzstreben, die am Ausfallende (wechselbar) auf wiederum volumige Kettenstreben treffen.
Der gesamte Rahmen des Bianchi Oltre XR2 besteht aus Nano-Carbon höchster Güteklasse, bei dem die Faltenbildung der Carbonmatten vermieden wird. Besonders belastete Bereiche wie Tretlager und Steuerrohr werden mit gekreuzten, hochfesten Gewebelagen auf der Innenseite zusätzlich versteift.
Bianchi spricht beim Oltre XR2 von einer „kompromisslosen Rennmaschine, die auf Geschwindigkeit und Beschleunigung getrimmt wurde“. Das ist einze ziemlich klare Aussage und lässt auf wenig Komfort, dafür aber Top-Straßenlage hoffen.
Auch die Gabel des Oltre XR2 musste sich den Aero-Ansprüchen der Lombarden unterwerfen.
Zur Verwendung kam erneut Nano-Carbon.
Der konische Gabelschaft (Tapered) ist längst klassenüblich und muss eigentlich nicht extra erwähnt werden. Mit 335g belastet die Gabel das Gesamtgewicht, was nicht Super-Leichtbau ist, im Bereich der Aero-Gabeln aber angesichts der großen Flächen für Respekt sorgt.
Mit einem Blick auf das Datenblatt findet sich auch ein recht kurzer Radstand und bestätigt den ersten Eindruck. Mit der Gabel komplettiert Bianchi die Gene des Oltre XR2 als reinrassige Rennfeile für Kriterium und Sprintrennen.
Wie sich das Bianchi Oltre XR2 im Test fährt, klären wir auf einer der folgenden Seiten.
Der Antrieb des Bianchi Oltre XR2
Mit der Campagnolo Super Record 11s hat Bianchi das neue Oltre XR2 nach unserer Meinung perfekt gespect. Shimano-Fahrer mögen nun aufschreien, aber wir bleiben dabei. An dieses Rad gehört eine italienische Schaltung der Premium-Kategorie wie die Super Record, von uns aus auch gerne elektronisch.
Selbstverständlich gibt es zahlreiche Ausstattungsoptionen inkl. Shimano-Gruppen und auch die Carbon-Laufräder von Fulcrum sind keine Pflichtveranstaltung. Dazu später aber mehr.
Campas 4-Arm-Kurbel ist ein Zugeständnis an den Mehrwert für den Endverbraucher. Ganz nebenbei spart sich Campagnolo dabei aber auch jede Menge Material auf Lager, denn mit der neuen Kurbelgeneration ist es erstmals möglich sowohl Standard- (53/39) als auch Kompaktblätter (50/34) an der gleichen Kurbel zu montieren. Der unterschiedliche Lochkreisdurchmesser machte dies bisher unmöglich. Dass das Design der Kurbel dabei massiv gelitten hat, steht auf einem anderen Blatt. Zu viel homogene Fläche und Einfallslosigkeit bei der Oberflächengestaltung enttäuschen an der ersten Generation von Campagnolos neuer Kurbelserie. Wir warten auf Abhilfe in den nächsten Jahren.
Für das misslungene Kurbelsterndesign kann Bianchi freilich nichts. Hier achtete man auf eine absolute Spitzengruppe mit Leistungswerten die einer Dura Ace oder Red 22 in keiner Weise nachstehen, diese sogar überflügeln. Die Super Record ist komplett verbaut, das beeinhaltet in dieser Preisklasse natürlich auch die Kassette (11s 11-25 Titan) und Kette. Der Umwerfer ist mit einer Schelle fixiert.
Share