Während unserer Tests haben wir zahlreiche Rennräder mit Discs von Giant, Simplon, Cannondale und anderen Herstellern gefahren. Wir fuhren damit in den Bergen, im Regen und auf trockener Straße und hatten sowohl Räder mit Schnellspannern als auch Steckachsen im Einsatz.
In einigen unserer Facebook-Einträge haben wir zudem eure Meinungen gesammelt und möchten diese kommentieren. Vorab aber zu unseren Eindrücken:
Dosierbarkeit und Bremsweg
Bei allen Tests mit hydraulischen Bremsen fiel uns gegenüber den Modellen mit Felgenbremse sofort die etwas feinere Dosierbarkeit auf. Alle Discmodelle von Shimano und SRAM wiesen einen ganz klar definierten Druckpunkt auf und verzögerten bei entsprechendem Druck sehr gleichmäßig bis zur Blockade.
Niels Knipp schrieb in unserem Disc-Post auf Facebook „Ich kann mit den Felgenbremsen so ziehen das es mich überschlägt oder hinten blockiert, also wie noch mehr bremsen?“ Wir meinen, es geht nicht um die Verzögerung bis zur Blockade, sondern vielmehr um die bei starken Bremsvorgängen schnellere Verzögerung vor der Blockade.
Um dies zu erreichen muss die Bremse perfekt entlüftet und am Bremssattel justiert sein. Scheibenbremsen benötigen mehr Wartungsaufwand als Felgenbremsen, es geht um Bruchteile von Millimetern bei der Justage des Bremssattels mit seinen Belägen um die Bremsscheibe. Nichts nervt mehr als schleifende Bremsscheiben! Korrektur: quietschende Bremsen sind noch nerviger.
Patrick Rottländer kommentierte „Eine Scheibenbremse ist in jeder Situation besser und hat vor allen Dingen gegenüber Carbon Bremsflanken bei Nässe enorme Vorteile.“ Ob eine Disc in jeder Situation besser ist als eine Felgenbremse, können wir nicht mit Bestimmtheit sagen. Bei unseren Tests im Regen war dies aber ein nicht zu negierender Fakt. Sämtliche Felgenbremsen wiesen sowohl mit Alu- als auch Carbonlaufrädern schlechtere Bremswerte auf als die Discs und das schließt auch die mechanischen Discbremsen an den Vorserienmodellen von GT und Cannondale ein.
Der auch bei Scheibenbremsen etwas längere Bremsweg bei Feuchtigkeit resultiert dabei hauptsächlich auf den verwendeten Reifen. Umso mehr Lauffläche vorhanden ist, desto schneller kommt das Rad zum Stehen. Das Gefühl von Sicherheit auf dem Rennrad verstärkt sich bei Disc-Rennrädern im Regen enorm und macht sich dann extrem bemerkbar, wenn es abwärts geht. Hier erlaubt die Disc deutlich spätere Bremsvorgänge und vermittelt vor allem gegenüber Rennrädern mit Carbonlaufrädern und Dual-Pivot-Bremsen ein stets berechenbares Bremsverhalten. Das gleichzeitige Bremsen und Lenken sollte man bei Discs übrigens genauso vermeiden wie auch bei anderen Bremssystemen – die Haftgrenze eines Reifens bleibt von der Bremsart unbeeinflusst.
Handkräfte
Wer im Flachland fährt, macht sich weniger Gedanken über Handkräfte, da die Bremsvorgänge eher überschaubar bleiben. Ein Ausflug in die Bergwelt (genauer gesagt auf den Großglockner in Österreich) machte im Praxistest eines unmissverständlich klar: auf nasser Straße und in engen Kehren 1700 Höhenmeter abzufahren macht Spaß, fordert aber auch Fahrer und Material. Die Abfahrt mit einem Disc-Renner hinterließ bei uns pure Begeisterung aufgrund der geringeren Handkräfte, die bei den zahllosen Anbremsungen vor Kehren notwendig werden und vor allem bei Kälte an die Substanz gehen. Im Tal angekommen fühlt man sich einfach entspannter und weniger verkrampft.
Auch Andreas Müller hat dies wohl bereits festgestellt und sagte dazu „Es geht doch gar nicht allein um mehr Bremsleistung , sondern auch um Handkräfte und Dosierbarkeit… Fahre beides und beides geht… Aber bei langen Abfahrten ist es einfach entspannter.“
Hitzeentwicklung
Es ist ja nicht so, dass nur Scheibenbremsen eine Hitzeentwicklung nach sich ziehen. Auch Felgen erhitzen sich durch starke Bremsvorgänge stark und dies betrifft vor allem Alu-Modelle. Reifenhersteller Continental weist gerne darauf hin, dass eine heiße Felge die in einen (Tubeless-) Reifen eingefüllte Pannenmilch zum Kochen bringen kann und damit unbrauchbar macht. Pannenschutz ade. Auch hitzebedingte Schlauchplatzer entfallen bei Discs.
Scheiben und Bremskörper können sich bei permanentem Bremsen sehr stark aufheizen, dabei sind 200 – 300 Grad oder sogar mehr absolut keine Seltenheit. Die Anbieter von Scheibenbremsen wie Shimano und SRAM begegnen diesem Problem mit einem durchdachten Kühlmanagement am Bremskörper, mehr oder minder stark gelochten Scheiben und Durchmessern. So gelten 140mm-Scheiben als unterdimensioniert, 160mm sind üblich und können auch sowohl mit den Shimano und SRAM-Systemen bedient werden. Alle Bremsen sind auf bis zu 160mm ausgelegt.
Umso größer die nutzbare Fläche ist, desto geringer ist die Wärmeentwicklung. Mittels Adaptern lassen sich nahezu alle Bremssysteme sehr schnell auf größere Durchmesser aufrüsten.
Während unserer Testfahrten ergaben sich keine Probleme, die auf Fading oder gar Bremsversagen hindeuteten. Wir empfehlen aber ganz klar 160er Bremsscheiben zu nutzen und nicht auf 140mm-Discs zu setzen. In Ausnahmefällem mit hohen Systemgewichten (Fahrer + Rad) und extrem langen und harten Bremsszenarien bei Passabfahrten kann auch eine 160er oder 180er Disc sehr heiß werden und die Beläge verglasen. Steigert man eine solche Extremsituation mit einer Vollbremsung, sind auch Schäden an der Scheibe möglich, wobei das Rad damit im Regelfall immer noch zum Stehen gebracht werden kann.
Egal ob man nun mit einer Scheiben- oder Felgenbremse bergab fährt, es gilt dabei immer auf die Bremstechnik zu achten. Keines der beiden Bremssysteme kann eine 100%ige Sicherheit bieten, wenn der wichtigste Parameter „Mensch“ dabei versagt. Wer mit einer Felgenbremse einen kompletten Berg herabbremst, muss sich nicht wundern, wenn ihm durch die heiße Felge der Schlauch platzt oder die Gummis rasend schnell gen Null abbauen.
Bei Abfahrten empfiehlt es sich daher immer mit beiden Bremsen zu verzögern, nicht durchgehend zu bremsen sondern in Intervallen und vor allem rechtzeitig vor Kurven. Der wichtigste Punkt aber lautet: Passe deine Geschwindigkeit dem fahrerischen Können an!
Wartung und Justage
Definitiv müssen wir aber auch zugeben, dass der Wartungsaufwand bei Scheibenbremsen deutlich größer sein kann als bei Felgenbremsen. Während eine gut eingestellte Felgenbremse nur hin und wieder neue Bremsgummis benötigt, die in 10 Minuten gewechselt sind und sonst selten Werkzeug sieht, können Scheibenbremsen zu Nervensägen werden.
Discbremsen erscheinen recht primitiv, sind aber High-Tech und benötigen neben einer extrem genauen Einstellung auch etwas Wartungsaufwand. Wir fassen zusammen:
– Die Scheiben selbst halten eine halbe Ewigkeit – hier gibt es nur sehr selten Wartungsbedarf.
– Beläge sind genau wie auch bei anderen Bremssystemen Verschleißteile. Je nachdem welche Art von Belägen (organische, gesinterte, gemischte) man fährt, müssen sie irgendwann getauscht werden. Bremst man mit extrem heißen Bremsscheiben, können Beläge verglasen und sind damit unbrauchbar.
Kommt Öl oder Fett auf Beläge, sind sie ebenfalls reif für die Tonne – ansonsten Lebensgefahr.
Sinterbeläge mit einer Metall-Bremsfläche neigen zum Quietschen, leben aber etwas länger als die organischen Beläge auf Kunstharzbasis.
Ab 1mm Restbelag auf der Trägerplatte muss der Belag getauscht werden. Zwei Paare auf Ultegra-Niveau kosten etwa 20 Euro und sind damit in etwa doppelt so teuer wie Bremsgummis. Dafür halten sie aber erheblich länger und sind langfristig weitaus billiger.
– Stimmt die Position des Bremssattels nicht genau und ist nicht exakt parallel zur Bremsscheibe, kann vor allem bei lateral auftretenden Kräften die Scheibe am Bremsbelag schleifen und Geräusche verursachen. Hier gilt es exakt zu arbeiten. Steckachsen sind verwindungssteifer als Schnellspanner und sorgen für weniger Probleme.
– Eine gut entlüftete Bremse (also ohne Luft im hydraulischen Leitungssystem) benötigt keinen Wartungsaufwand. Hat sich über die Dichtungen trotzdem Luft ins System geschlichen, muss dieses mit einem Entlüftungsset entlüftet werden. Mit ein wenig Übung klappt das in wenigen Minuten und ohne Schweinerei. Man merkt das recht schnell durch einen sich verschlechternden Druckpunkt und mangelnde Bremskraft.
Sind die Laufräder entnommen und jemand zieht an den Bremsen ohne das Sicherheitsplättchen als Ersatz für die Scheibe eingeklemmt zu haben, muss entlüftet werden! Die Beläge lassen sich dann nämlich nicht mehr in ihre Ausgangsposition zurückdrücken.
Fazit – Ja, hydraulische Felgenbremsen benötigen mehr Aufmerksamkeit und auch etwas technisches Know-How gegenüber ihren Konkurrenten. Ein funktionierendes System mit den passenden Belägen kann aber je nach Nutzung über Jahre Spaß machen ohne Probleme zu machen.
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