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Ratgeber

Bike-Fitting – das musst du wissen

Warum Bike-Fitting, was bringt es dir, wie findest du den richtigen Fitter, uvm...

Einige behaupten, Bike-Fitting wäre Hokus Pokus. Andere hingegen sind davon überzeugt, dass Bike-Fitting und Wissenschaft fest miteinander verwurzelt sind. Wie dem auch sei. Fakt ist: Eine komfortable Sitzposition macht die Zeit im Sattel nicht nur angenehmer, sie verbessert auch die Leistung und macht uns entsprechend schneller.

Das Problem beim Bike-Fitting besteht darin, dass es keine festgelegte Vorgehensweise gibt. Jeder Bike-Fitter geht die Sache anders an. Letzten Endes ist der Weg aber nicht ausschlaggebend. Entscheidend ist, dass er zum gewünschten Erfolg führt. Der menschliche Organismus ist sehr komplex und oft kann bereits ein kleiner Faktor großen Einfluss auf viele andere Faktoren haben. Kommen dann noch persönliche Vorlieben mit ins Spiel, sind unterschiedliche Herangehensweisen unabdingbar.

Denkst auch du über ein Bike-Fitting nach, bist aber nicht davon überzeugt, dass es dich tatsächlich weiterbringt? Welches Ergebnis darfst du erwarten und wie solltest du die Sache angehen?

Wir sagen dir, was du über das Thema Bike-Fitting wissen musst.

Bike-Fitting – warum?

Viele Experten sind sich einig darüber, dass Bike-Fitting der Schlüssel ist, möchte man das Maximum aus seiner Zeit auf dem Bike herausholen. Sitzen wir stundenlang im Sattel, befinden wir uns grundsätzlich schonmal in einer unnatürlichen Position. Üben wir in dieser Position dann auch noch Kraft auf unsere Gliedmaßen aus, kann das schnell zu einer Verletzung führen.

Phil Cavell, Leiter und Senior-Analyst bei Cyclefit, hat folgendes dazu zu sagen: „Das Bike-Fitting ist die Brücke zwischen der aktuellen körperlichen Verfassung von Fahrern (Bewegungsspielraum, Flexibilität, funktionelle Bewegung, usw.) und der Verfassung, die sie erreichen möchten. Wenn sie die Sache richtig angehen, können sie potentiellen Schmerzen vorbeugen und minimieren gleichzeitig das Verletzungsrisiko. Hinzu kommt die damit einhergehende Leistungssteigerung auf dem Bike.“

Hier die wichtigsten Vorteile eines ordentlichen Bike-Fitting im Überblick:

Ermüdungsminderung

geringeres Verletzungsrisiko

weniger Schmerzsymptome

weniger Druck auf den Kontaktstellen (Gelenke, usw.)

bessere Leistung

Ein Bike-Fitting kann die Zeit im Sattel nicht nur angenehmer machen, es hilft auch dabei, Ermüdung, Verletzungen und Schmerzen vorzubeugen.

Phil Cavell erklärt, die Vorteile des Bike-Fitting können sich im Leistungssport sogar auf psychologischer Ebene bemerkbar machen. Und er sollte wissen, wovon er redet, schließlich arbeitet Cyclefit mit dem World-Tour-Team Trek-Segafredo zusammen.

„Interessant ist es, dass einer der nützlichsten Aspekte des Bike-Fitting der psychologische Antrieb ist, den es einem Fahrer geben kann. Bike-Fitting hat für Profis einen enormen Nutzen. Alleine die Gewissheit, die richtige Entscheidung bezüglich eines neuen Sattels getroffen zu haben oder die Höhe des Lenkers um wenige Millimeter angepasst zu haben, kann Berge versetzen.“

Alltagspedalisten empfiehlt Cavell, sich nicht zu sehr in die Feinabstimmung ihrer Bikes hereinzusteigern.

„Meiner Meinung nach ist es gut, sich um Details zu sorgen. Treibt man es aber auf die Spitze und lässt sich von jedem noch so kleinen Detail verrückt machen, ist es nicht mehr so gut. Da es beim Bike-Fitting um Details geht, könnte das bei Besessenen zum Wahn führen. Man sollte sich aber immer vor Augen führen, dass es vielmehr um die Einstellung des kompletten Bikes geht, als um einen Millimeter hier oder da.“

Ein Bike-Fitting sollte immer mit einem persönlichen Gespräch beginnen, in dem die Ziele und Bestrebungen des Fahrers beurteilt werden.

Beim Bike-Fitting geht es nicht nur darum, die Sitzposition auf deinem aktuellen Bike zu optimieren. James Thomas, ein Sigma-Sport-Fachhändler erklärt, Bike-Fitting sollte in erster Linie Bestandteil des Kaufprozesses bei einem neuen Bike sein.

„Wenn du schon auf einem falsch eingestellten Bike beginnst, wirst du immer auf der Jagd nach der richtigen Sitzposition sein. Nach einem Bike-Fitting weißt du, worauf du beim Kauf eines neuen Bikes achten musst. Hast du von Anfang an eine passende Maschine unter dir, musst du später auf der Suche nach der richtigen Einstellung nicht Anpassung um Anpassung vornehmen, um dich am Ende doch mit einem Kompromiss zufriedenzugeben.“

Was sollte ein Bike-Fitting beinhalten?

Zunächst wollen wir mit der falschen Annahme, die sich seit Ewigkeiten hält, aufräumen, Bike-Fitting wäre keine exakte Wissenschaft. Fakt ist, jeder wird ein Bike-Fitting anders erleben. Das liegt einfach daran, dass ein ordentliches Bike-Fitting auf jeden Einzelnen zugeschnitten ist. Startet der Bike-Fitter nicht mit einem persönlichen Gespräch, in dem die Ziele des Kunden genauer beleuchtet werden, sollten direkt die Alarmglocken leuten.

„Unser Job dreht sich um drei Schlüsselfaktoren: die Bestrebungen des Kunden, seine derzeitigen körperlichen Voraussetzungen und der Weg, beides miteinander zu verbinden,“ erklärt Phil Cavell. „Also ist zunächst eine Diskussion darüber nötig, was der Kunde erreichen möchte und welches finale Ziel er sich gesetzt hat. Anschließend folgt eine Beurteilung seiner derzeitigen körperlichen Fähigkeiten.“

Im Vorfeld des eigentlichen Bike-Fittings sollte auf jeden Fall eine Beurteilung von Physiologie und Flexibilität des Fahres stattfinden.

Phil Cavell: „Die Beurteilung beinhaltet den Bewegungsspielraum der wichtigsten Gelenke, die Flexibilität der Muskeln und die funktionellen Bewegungsmöglichkeiten. Erst jetzt kann man mit dem Bike-Fitting Punkt für Punkt daran arbeiten, die beste Position zu erarbeiten, die einem Fahrer ermöglicht, seine Ziele zu erreichen. Manchmal ist für das Erreichen eines Ziels in entsprechender Sitzposition auch erst noch gezieltes Körpertraining seitens des Fahres nötig.“

Nun wird auch klar, warum ein Bike-Fitting nicht nach einer bestimmten Checkliste abgearbeitet werden kann. Vielmehr muss man genügend Zeit investieren und den Körper verstehen. Nur so lässt sich eine optimale Lösung finden. Auch Faktoren wie die Körperform, Größe, Gewicht oder die zwischenzeitliche Änderung der eigenen Ziele, müssen bei einem anständigen Bike-Fitting stets berücksichtigt werden.

Sind alle nötigen Messungen und die funktionellen Bewegungsmöglichkeiten eines Fahrers bekannt, nimmt er in der Regel als nächstes auf einer Einstellvorrichtung platz. Thomas erklärt, dass sich mit Hilfe dieser Vorrichtung die verschiedensten Sitzpositionen simulieren lassen. Bezüglich der Kontaktstellen mit dem Bike habe man hier fast unendliche Variationsmöglichkeiten. Genau hier werden die Ziele eines Fahrers auf seine körperlichen Fähigkeiten abgestimmt. Ist die optimale Sitzposition gefunden, wird diese auf das aktuelle Bike des Fahres übertragen.“

Einige Bike-Fitter bieten Kontrolltermine nach einer gewissen Zeit an, um sicherzustellen, dass Anpassungen wie Lenkerhöhe, Rotationswinkel, Vorbaulänge und -winkel, Sattelwahl, Höhe, Setback und Winkel des Sattels, Cleat-Position, Floatwinkel und die optimierte Sitzposition des Fahres nach wie vor komfortabel sind und die erhofften Fortschritte ermöglichen.

Eine dynamische Einstellvorrichtung erlaubt dem Bike-Fitter, durch die Feinabstimmungen verschiedener Parameter, die optimale Sitzposition eines Fahrers zu erarbeiten.

Welche Technologie eignet sich am besten?

Bike-Fitting-Anbietern stehen für gewöhnlich verschiedene Technologien zur Verfügung, mit denen sie die Kundenwünsche realisieren können. Einige Bike-Fitter arbeiten exklusiv nur mit der Lösung von ein oder zwei bestimmten Marken, andere machen je nach Bedürfniss ihrer Kunden auch von deutlich mehr Technologien Gebrauch.

Es gibt zwar noch viele weitere Anbieter aber hier ist eine Liste gängiger Technologien für das Bike-Fitting:

  • Retul
  • Specialized Body Geometry Fit
  • Dartfish
  • Trek Precision Fit
  • Shimano bikefitting.com

Jede Marke macht sich eine ganze Reihe von Technologien zu nutze. Hierzu zählen 3D-Bewegungsaufnahmen, Satteldruck-Überwachung, Fuß-Druck-Messungen und die Einstellvorrichtung zur Simulation von Sitzpositionen und Lösungsansätzen.

Allerdings weisen Experten darauf hin, dass man seine Entscheidung nicht ausschließlich aufgrund dessen treffen sollte, was eine bestimmte Technologie verspricht.

Technologien wie die eben genannten finden inzwischen immer häufiger Verwendung beim Bike-Fitting – man sollte sich aber keinesfalls blind darauf verlassen.

Ist eine Methode besser als eine andere?

Wir haben bereits angesprochen, dass Bike-Fitting ein individueller Prozess ist. Aus diesem Grund lässt sich auch keine Methode – egal ob sie auf einer Technologie oder den Erfahrungen des Fitters beruht – über eine andere stellen. Es steht nicht der Weg ans Ziel (dieser muss auf die Fähigkeiten und die Bedürfnisse des Kunden zugeschnitten werden) sondern das Erreichen des Ziels im Vordergrund.

Phil Cavell berichtet, dass Cyclefit nach einem technologie-unabhängigen Ansatz operiert. Zwar stünden ihnen alle Technologien zur Verfügung und bei Bedarf würden sie auch davon Gebrauch machen, die Prozedur an sich basiert aber nicht auf ihnen.

„Wir können auf jegliche Dartfish-Kombinationen zurückgreifen. So können wir Zeitlupen-Aufnahmen, 3D-Darstellung sowie Fuß- oder Satteldruck-Überwachung nutzen, um einen Fahrer zu analysieren.“

Thomas von Sigma Sport stimmt zu: „Das Problem bei einem systematisierten Herangehen, bei dem man auf eine bestimmte Technologie angewiesen ist, besteht darin, dass es einen einschränkt. Es kann sogar passieren, dass man angestrebte Resultate auf diese Weise gar nicht erreichen kann. Jedes gute Bike-Fitting findet außerhalb dieser Einschränkungen statt.“

Einige Bike-Fitter meiden diese Technologien gänzlich und lassen stattdessen mathematische Ansätze, persönlichen Erfahrungen und ihr Wissen über Geometrie in den Bike-Fitting-Prozess mit einfließen. Giuseppe Gianecchini und Peter Cole von Velo Solutions haben ein System entwickelt, welches sich auf dem Wissen über ehemalige Architektur stützt.

„Wir nutzen Giuseppes Können als erprobter Architekt und sein tiefgehendes Wissen über den Radsport, um die Geometrie eines Fahrers und seines Bikes zu analysieren. Auf diese Weise können wir veranschaulichen, wie ein Fahrer agiert,“ erklärt Peter Cole. „Er arbeitet beim Bike-Fitting zunächst mit seinem Auge und analysiert seinen Eindruck dann mathematisch. Ein Computer empfängt lediglich Daten und spuckt daraufhin wieder Daten aus. Was aber, wenn die Daten, die er empfängt falsch sind? Aus diesem Grund stellt Giuseppe seine Berechnungen manuell an.“

Bei einem ordentlichen Bike-Fitting werden auch Faktoren wie die Cleat-Position oder die Wahl des optimalen Sattels beleuchtet.

Wie wichtig ist die Erfahrung des Bike-Fitters?

Das Wissen und die persönliche Erfahrung des Fitters sind der Schlüssel zu einem gelungenen Bike-Fitting. Thomas ist davon überzeugt, dass ein gutes Bike-Fitting hauptsächlich auf Erfahrungswerten beruht.

„Zunächst lernst du, zu fahren,“ erzählt er. „Du sammelst Erfahrungen, lernst daraus und wirst nach und nach ein besserer Fahrer. Jene, die einfach drauf losfahren und sich Equipment zukaufen ohne groß darüber nachzudenken, treten meist auf der Stelle.“

Im Gegensatz zu alleine agierenden Bike-Fittern, kann Erfahrung laut Cavell auch auf dem zusammengetragenen Wissen verschiedener Spezialisten basieren.

Cavell: „Wir fungieren in einer Partnerschaft, bei der alle zusammenarbeiten. Da wir jeden Ansatz gemeinsam prüfen, wird verhindert, dass der Einzelne beginnt, irgendwelchen verrückten Theorien zu folgen. Wir arbeiten unter anderem mit Bike-Fittern sowie Fachleuten aus den Bereichen Physiologie und Sportwissenschaft. Somit mangelt es uns niemals am nötigen Fachwissen.“

Auf keinen Fall sollte man sich für den erstbesten Anbieter entscheiden. Vielmehr sollte man sich im Vorfeld umfassend informieren. Optimal wäre ein Gespräch mit demjenigen, der das Bike-Fitting am Ende durchführen soll. Man wäre auch gut beraten, sich nach einem Anbieter umzusehen, der aufgrund andauernder Weiterentwicklung im Besitz eines Zertifikates vom IBFI (International Bike Fitting Institute) ist.

Wieviel sollte ein Bike-Fitting kosten?

Es gibt keinen Richtwert bezüglich der Kosten, die ein Bike-Fitting mit sich bringt. Das kann von Ort zu Ort und aufgrund der Reputation eines Anbieters variieren. Cavell sagt, dass man bei Kosten deutlich über 150 Euro allerdings erwarten darf, dass mit den neuesten Technologien gearbeitet wird. Aber nochmal, nicht die Höhe der Kosten sondern der Fitter selbst ist der Schlüssel zu einem guten Bike-Fitting.

„Darüber hinaus sollte der Fitter auch genaue Kenntnisse über die Anatomie eines menschlichen Körpers haben und in seiner beruflichen Entwicklung auf dem neuesten Stand sein. Bike-Fitting ist nach wie vor eine Wissenschaft, die sich im Wachstum befindet. Somit ist es unglaublich wichtig, dass der Fitter auf dem aktuellen Entwicklungsstand ist,“ erklärt Cavell, der Gastgeber des halbjährlichen International Cyclefit Symposium ist, weiter.

„Vor kurzem haben wir mit einem Experten über Verletzungen an Sehen gesprochen. Er erklärte uns, dass man bei derartigen Verletzungen zukünftig ganz anders vorgehen wird als es bisher der Fall war. Genau solche Informationen sind es, die einem Fitter dabei helfen, die wissenschaftlichen Ansätze des Bike-Fitting zu verfeinern.“

Nochmal, hohe Kosten sind keine Garantie für ein gutes Bike-Fitting. Thomas rät jedem, der sich für ein Bike-Fitting interessiert, sich mit verschiedenen Anbietern zu unterhalten bevor man eine Entscheidung trifft. Nur so bekommt man Einblicke in die unterschiedlichen Methoden, Erfahrungen und Qualitäten der einzelnen Bike-Fitter.

„Das Probelm in der Fahrradindustrie besteht darin, dass sie sehr entstirnig sein kann,“ sagt Thomas. „Man sollte sich weder eine Ober- noch eine Untergrenze setzen. Ein Bike-Fitting für 300 Euro kann Schwächen in einem Bereich haben, dafür aber in einem anderen ausgezeichnete Ergebnisse liefern. Das hängt einzig und allein vom jeweiligen Fitter ab.“

Phil Cavell von Cyclefit sagt, ausschlaggebend für ein gutes Bike-Fitting ist einzig und allein die Erfahrung des Bike-Fitters.

Mythen des Bike-Fitting

Abschließend beleuchten wir noch einige Mythen des Bike-Fitting. Es ist gut, sie zu kennen bevor man sich einem Bike-Fitting unterzieht. Sowohl Thomas als auch Cavell sind sich einig, dass diese Mythen hauptsächlich von Bike-Fittern in die Welt gesetzt wurden, die sich nicht auf dem neuesten Wissensstand befinden und so ihre veralteten Ansätze rechtfertigen.

Kommt beim Vorgespräch mit einem Fitter einer der folgende Punkte zur Sprache, sollten direkt die Alarmglocken läuten:

  • Die vordere Nabe sollte immer unter dem Vorbau zu sehen sein
  • Kurbeln sollten entweder kurz oder lang sein
  • Es gilt das Prinzip des Aufwärtshubs
  • Auf der Suche nach dem optimalen Winkel für die Gelenke ist einzig und allein die Goniometrie (die Wissenschaft, Winkel zu messen) das Maß der Dinge

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