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Rennberichte & Analysen

Gird d’Italia 2017 16. Etappe – Der Berg ruft, Nibali folgt und gewinnt die Königsetappe

Tom Dumoulin bleibt weiterhin im Maglia Rosa – trotz eines ungeplanten Nothalts

Es war nicht irgendein Berg, der rief: Für die Königsetappe der 100. Jubiläumsausgabe des Giro d’Italia stand kein anderer Berg auf dem Programm, als der Passo dello Stelvio. Damit alleine war nicht gedient. Die Organisatoren des Italienrundfahrt hatten sich zur Feier des Giro eine Streckenführung der besonderen Art einfallen lassen: Der Stelvio musste nicht nur einmal, sondern gleich zweimal erklommen werden nachdem sie schon den Mortirolo erklommen hatten. 

Es sind diese Etappen, auf die man als Radsportfan wartet und die man mit Spannung verfolgt. Hier werden die großen Kämpfe ausgetragen und die Favortien, die bis zu diesem Zeitpunkt Zeit geschunden haben, wetzen jetzt die Messer und gehen zum Angriff auf den Gesamtsieg über. Der Titelverteidiger Vincenzo Nibali (Bahrain-Merida) gewann die Etappen aller Etappen. Er schlug Mikel Landa (Team Sky) in Kopf-an-Kopf Sprint und sicherte sich den Etappensieg und den ersten Sieg eines Italieners während dem Giro d’Italia. Nairo Quintana überquerte ein paar Sekunden später als Dritter die Ziellinie.

(Bild: Sirotti)
(Bild: Sirotti)

Für den Träger des Maglia Rosa, Tom Dumoulin (Sunweb), war es ein anstrengender und harter Tag in den Bergen, der, wortwörtlich, in die Hosen hätte gehen können. Nach einer unvorhergesehenen und ungeplanten Pause, in der der Holländer dem dringenden Ruf der Natur folgen musste, musste er um jede Sekunde kämpfen, um seine Führung zu behalten. Die fast drei Minuten, die er sich im Einzelzeitfahren souverän eingefahren hatten, schmolzen dahin wie Eis in der heißen italienischen Sonne. Letztendlich konnte er das Maglia Rosa behalten, aber seinen Vorsprung, den er auf seine Rivalen hatte, reduzierte sich auf ein paar Sekunden.

Das Streckenprofil der Könisetappe lässt ahnen, was auf die Profis zukommt (Bild: Sirotti)
Das Streckenprofil der Könisetappe ließ ahnen, was auf die Profis zukommen würde. (Bild: Sirotti)

Ein Blick auf das Streckenprofil genügte, um zu sehen, dass dieser Tag des Giro d’Italia, mit seiner Anzahl an Höhenmetern auf Pässen, die echten Kultstatus in der Radsportwelt haben, ein Tag von gewaltigem Ausmaßen sein würde. Der Tag enttäuschte nicht: Er bot alles, was man sich als Radsportfan wünscht – Drama, Machenschaften, Ränkespiele und ein Hauch von drohendem Skandal.

Letztendlich war es am letzten Anstieg und auf der letzten Abfahrt der Etappe, die entscheidend für das Ergebnis des Tages war, dessen Finale sich auf ein Rennen zwischen zwei Fahrern reduzierte: Landa und Nibali. Ein Zwischenfall am Umbrailpass wurde aber ein Schlüsselmoment für viele Favoriten, in der sich das Bild der Gesamtwertung gewaltig änderte. Für den Träger des Maglia Rosa, war dieser Zwischenfall eher ein Haar in der Suppe, was ihm seine Aussichten auf einen Sieg dem Giro d’Italia vermiesen könnte.

Nach einer Schweigeminute, in der die Profis den Opfern des Anschlages in Manchester am Montag und den tödlich verunglückten Nicky Hayden und Julia Viellehner, die beide ihren Verletzungen erlagen, nachdem sie beim Radfahren von Fahrzeugen angefahren worden waren, gedachten, ging es auf die 222 km lange Königsetappe. Wie erwartet, wollte jeder in die Ausreißergruppe kommen und nach 40 Kilometern hatten sich zehn Fahrer abgesetzt, als sich die Fahrer den Ausläufen des ersten Passes, dem Mortirolo näherten. Die Gruppe schwoll von zehn auf 25 Fahrer an, wurden aber kurz vor dem Pass wieder eingeholt.

Tom Dumoulin (Sunweb) und sein Team schafften es letztendlich das Hauptfeld zu kontrollieren (Bild: Sirotti)
Tom Dumoulin (Sunweb) und sein Team schafften es letztendlich, das Hauptfeld zu kontrollieren (Bild: Sirotti)

Auf dem Mortirolo formte sich wieder eine Gruppe, die sich von vorne absetzte. Movistar und Team Sky schafften es, einige Fahrer nach vorne zu schicken, von Team Sky war unter anderem Mikel Landa mit von der Party. Sunweb hatte nur einen Fahrer, Laurens ten Dam, in der Gruppe. Für Sunweb und Tom Dumoulin schien es einige Schwierigkeiten im Hauptfeld zu geben, aber dennoch schafften sie es, die Gruppe vorne vom Hauptfeld aus zu kontrollieren und erlaubten den Ausreißern höchstens drei Minuten Vorsprung. Der Mortirolo war aber nur die Vorspeise zum Hauptgericht dieser epischen Etappe: Der Passo dello Stelvio – gleich zweimal.

Die Ausreißer hatten gute Zusammenarbeit geleistet, aber der Stelvio war für viele in der Gruppe zuviel des Guten und die Gruppe reduzierte sich rapide, als die Straße anstieg und eine Kurve nach der anderen folgen würde. Movistar, mit den meisten Fahrern in der Gruppe, nutzte den Vorteil ihrer Anzahl an Fahrern und fing an, das Tempo zu bestimmen und anzuziehen, was die Gruppe noch weiter reduzierte. Im Hauptfeld bestimmte FDJ das Tempo und Dumoulin ließ seinen Rivalen Quintana nicht aus den Augen.

Sogar auf der Stelvio Passhöhe zollen Fans ihren Respekt an den verunglückten Astana Fahrer Michele Scarponi (BIld: Sirotti)
Sogar auf der Stelvio-Passhöhe zollen Fans ihren Respekt an den verunglückten Astana-Fahrer Michele Scarponi (Bild: Sirotti)

Landa führte die Ausreißergruppe als Erster über den Stelvio, aber er wurde schon kurz darauf von einem wild entschlossenen Amador überholt. Landa fackelte nicht lange und nahm die Verfolgungsjagd auf. Die zwei Fahrer wurden aber schon bald von den Überbleibsel der einst großen Ausreißergruppe eingeholt.

Auf dem Weg zum Umbrailpass bekam Tom Dumoulin ernsthafte Probleme: Das Maglia Rosa musste seine Notdurft verrichten und der hektischen Art nach, in der sich Dumoulin seines Rades und seiner Shorts entledigte, konnte es nicht schnell genug gehen um Schlimmeres zu verhindern. Vielleicht war es die Hitze, das Essen, das Trinken, die Anstrengung – wir werden es wohl nie genau wissen. Dumoulin fand sich alleine auf weiter Flur, nachdem er sich seines Darminhaltes befreit hatte und wieder auf sein Rad stieg.

Schneebedeckte Pässe: Ein typischer Tag in den Bergen beim Giro d
Schneebedeckte Pässe: Ein typischer Tag in den Bergen beim Giro d’Italia (Bild: Sirotti)

Ganz nach ungeschriebenem Gesetz warteten die Favoriten auf den Führer, aber als sie sich dem letzten Anstieg näherten wurden die Fahrer sichtlich nervös. Man konnte regelrecht spüren wie es ihnen in den Beinen juckte. Bei den Ausreißern schien Mikel Landa nichts mehr mit seinen Begleitern zu tun haben zu wollen und mit 25 Kilometern zum Ziel entschloss er, sich von ihnen abzusetzen. Keiner folgte ihm und Landa war der einzige der Ausreißer, der übrig blieb.

Auf der Abfahrt vom Umbrailpass nahm das Drama seinen Lauf: Ilnur Zakarin (Katusha-Alpecin) ging zum Angriff über und von da an gab es kein Halten mehr. Quintana zog an, mit Nibali, Zakarin und Pozzovivo als Begleitung. Das Quartett holte schon bald die einzelnen Fahrer ein, die aus der großen Gruppe an Ausreißern herausgefallen waren.

Nach einer ungeplanten Toilettenpause kämpfte Dumoulin alleine über den Pass (Bild: Sirotti)
Nach einer ungeplanten Toilettenpause kämpfte Tom Dumoulin sich alleine über den Pass (Bild: Sirotti)

Für Dumoulin wurde der Angriff von vorne fast zum Verhängnis. Nachdem er es geschafft hatte, den Zeitabstand zur Gruppe von 90 Sekunden auf knapp eine Minute zu verringern, musste er sichtlich kämpfen, diesen Abstand nicht wieder größer werden zu lassen. Ohne einen Teamkollegen und nur mit den Fans am Straßenrand als Motivation und moralische Unterstützung kämpfte sich das Maglia Rosa in einem verzweifelten Versuch der Schadensbegrenzung den Umbrailpass hinauf.

Nibali greift an und nur Quintana konnte ihm folgen. (Bild: Sirotti)
Nibali greift an und nur Quintana konnte ihm folgen. (Bild: Sirotti)

Landa marschierte in der Zwischenzeit ungehindert den Umbrailpass hinauf. Die Favoriten waren ihm heiß auf den Fersen und kamen ihm immer näher. Es war noch knapp ein Kilometer zur Passhöhe, als Nibali seine Chance auf einen Etappensieg witterte und zu seinem entscheidenden Angriff überging. Quintana war der Einzige, der dem Italiener folgen konnte, aber auf der Abfahrt vom Umbrail verlor er schnell den Anschluss. Weder Nibali noch Landa hielten sich auf der Abfahrt zurück, beide Fahrer wild entschlossen, diese Etappe für sich zu gewinnen.

Nach einem harten Zweikampf am letzten Berg gewann Nibali die Königsetappe (Bild: Sirotti)
Nach einem harten Zweikampf am letzten Berg gewann Nibali die Königsetappe (Bild: Sirotti)

Es war ein Finale zu einem dramatischen Tagen in den Bergen wie es im Buche steht: Die beiden Fahrer blieben bis zur Ziellinie zusammen und lieferten sich ein wahres Kopf-an-Kopf Rennen. Vincenzo Nibali überquerte mit einem hauchdünnen Vorsprung vor Mikel Landa die Ziellinie und sicherte sich den Sieg der Königsetappe des 100. Giro d’Italia. Quintana kam ein paar Sekunden später ins Ziel.

Aufgrund des Zwischenfalls am Umbrail erlitt Dumoulin große Zeiteinbußen über seine Rivalen. Vor allem Quintana befindet sich in einer vorteilhaften Ausgangsposition, nachdem wer wieder mehr Zeit über Dumoulin gewonnen hat und noch weitere harte Tage in den Bergen bevorsteht.

 

 

Erschöpft und enttäuscht kommt erreicht das maglia rosa einsam das Ziel. (Bild: Sirotti)
Erschöpft und enttäuscht erreicht das Maglia Rosa einsam das Ziel. (Bild: Sirotti)

Für den Träger des Maglia Rosa war es ein anstrengender und sehr enttäuschender Tag beim Giro d’Italia. „Was kann ich sagen, ich musste kacken. Ich konnte es nicht mehr halten. Ich spürte den Drang auf der Abfahrt vom Stelvio. Ich musste anhalten, es ging nicht anders“, sagte der Holländer mit einer entwaffnenten Offenheit und Ehrlichkeit.

„Natürlich bin ich enttäuscht. Ich war heute einer der stärksten Fahrer und hätte mit Quintana und Nibali mithalten können. Ich habe Zeit verloren, weil ich Probleme hatte.“

(Bild: Sirotti)
(Bild: Sirotti)

„Es war eine sehr eindrucksvolle Etappe“, sagte der Etappensieger Vincenzo Nibali. „Berge, Abfahrten und Sprints. Ich habe nicht daran gedacht, der erste Italiener zu sein, der beim Giro d’Italia eine Etappe gewinnt. Was heute gezählt hat, war, ein starkes Team um sich zu haben, sich anzustrengen und vorne mitzumischen. Ich bin dem Sieg heute ein Stück näher gekommen, aber Dumoulin hat noch den Vorteil des Einzelzeitfahrens in Milan.“

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