Mitte Oktober ist es immer noch warm auf Sizilien. Wir befinden uns in einem Hotel in Zafferana am östlichen Fuße des Etna. Die Tage werden hier merklich kürzer, aber dennoch bieten die Sonnenstrahlen tagsüber noch genug Wärme um, die schöne Landschaft der Mittelmeerinsel zu genießen.
Wir treffen im Hotel auf zwei Männer von Shimano, die an einem kleinen Tisch sitzen. Vor ihnen liegt eine der umstrittensten Technologien der letzten Jahre. Um diese Technologie zu testen, schnallt sich einer der Männer regelmäßig einen Gewichtsgurt um und fährt damit einige der steilsten Bergpässe der Welt herunter. Wir sprechen natürlich von der hydraulischen Scheibenbremse.
>> RCDE hat die Vor- und Nachteile von Scheibenbremsen in diesem Artikel abgewogen…
Die Disc am Rennrad ist aber nicht die erste Entwicklung von Shimano und vor allem Tim Gerrits (einer der beiden Männer), die den Radsport-Markt revolutioniert hat. Tim Gerrits, ein ehemaliger Flugzeug-Ingenieur, ist seit sieben Jahren an der Entwicklung und Umsetzung von Shimanos hydraulischer Scheibenbremse beteiligt und wurde extra aus diesem Grund nach Osaka geholt. Shimano wirbelte aber bereits vor der Scheibenbremse den Markt durcheinander. Da wäre zum Beispiel Shimanos Flaggschiff, die elektronische Dura-Ace-Gruppe.
Nachdem Sram eine große Rückrufaktion starten musste, konnte Shimano im Markt der Scheibenbremsen seine Vormachtstellung endgültig sichern. Auf der Eurobike 2014 sahen wir fast nur Scheibenbremssysteme von Shimano.
Gerrits sagte uns, dass es Teil von Shimanos Philosophie sei, nicht nur etwas zu bringen, weil es alle wollen. „Wenn wir etwas Neues auf den Markt bringen, dann sollte es besser sein, mehr bieten oder den Markt erweitern. Es geht nicht darum Scheibenbremsen zu bringen, weil alle Scheibenbremsen wollen.“
Gerrits fing vor 16 Jahren bei Shimano an. Nachdem der niederländische Luftfahrt-Markt plötzlich einbrach, kam dem frisch abgeschlossenen Ingenieur das Angebot gerade recht. Zufälligerweise wurde die Radsport-Branche in dieser Zeit gerade von Luftfahrt-Technologien überschwämmt: Carbon war relativ neu in der Szene und „high-end“ Aluminium war der Standard.
Wenn wir etwas Neues auf den Markt bringen, dann sollte es besser sein, mehr bieten oder den Markt erweitern. Es geht nicht darum Scheibenbremsen zu bringen, weil alle Scheibenbremsen wollen.
Gerrits war ein begeisterter Mountainbiker und arbeitete in dem Radsport-Laden eines Freundes bevor er bei Shimano im Sales-Bereich einstieg. Schnell wechselte er aber in eine eher technischere Rolle und übernahm zunächst die Stelle als Problemlöser für Shimanos größte Kunden – die Bike-Hersteller. Anschließend übernahm er die Verantwortung für Laufräder, Pedale und Schuhe. Eine Umstrukturierung von Shimano Europa ermöglichte es ihm im Produkt-Team, welches vom ehemaligen Elite-Mountainbiker Bas Van Doren geleitet wird, anzufangen.
In seiner neuen Stelle als Produkt-Koordinator ist es Gerrits Aufgabe die Ansprüche eines neuen Produkts für Europa mit der technischen Entwicklung in Japan in Einklang zu bringen. „Auf der einen Seite fordert das Sales-Team, das sie das neue Produkt jetzt oder noch in diesem Jahr brauchen, um den Markt nicht zu verlieren. Andererseits sagt das Entwicklungs-Team, dass sie noch nicht fertig sind und das Produkt erst herausbringen, wenn es den benötigten Mehrwert liefert.“ Diesen Druck zu steuern ist aber nur ein Teil seiner Rolle. Gerrits und seine Kollegen formen die Entstehung neuer Produkte. Sie entscheiden was sofort entwickelt werden sollte und welche Ideen erst mittel- oder langfristig umgesetzt werden sollten.
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