Fotos: Jonas Deichmann Adventures
Am Abend nach seinem 118. Marathon in Folge erwischen wir den Weltrekordmann in Mexiko am Telefon. Jonas Deichmanns Ziel der Laufstrecke liegt mittlerweile in greifbarer Nähe: Playa Delfines in Cancun. Mehr als ein Jahr ist der 34-Jährige jetzt bereits unterwegs auf seinem Welt-Triathlon, im September startete er sein Megaprojekt „Triathlon 360 degree“, ein 120-facher Ironman einmal um die Welt.
Um zu verstehen, in welchen Relationen Jonas Deichmann sich bewegt, genügt ein Blick auf seine bisherigen Langstreckenrekorde. Mit dem Rad fuhr der Extremsportler bereits vom Nordkap bis nach Kapstadt, von Alaska die gesamte Panamericana gen Süden bis nach Feuerland und von Portugal quer durch Eurasien. Während der Pandemie stand nun also die nächste Mammut-Herausforderung auf dem Plan, die filmisch begleitet und im Rahmen der kommenden European Outdoor Film Tour 2021 mit „Miles Ahead“ auf der großen Leinwand gezeigt wird.
Dafür fuhr er zunächst mit dem Rennrad von München nach Kroatien und schwamm anschließend im Adriatischen Meer 456 Kilometer entlang der Küste bis Dubrovnik. Zurück auf dem Rad ging es ostwärts durch Europa und Russland bis nach Wladiwostok. Auf der anderen Seite des Pazifiks lief er von der Halbinsel Baja California quer durch den Kontinent. Die verbleibenden 4000 Kilometer von Portugal nach München legt Deichmann dann erneut mit dem Rad zurück. Wie immer ist der Extremsportler dabei auf sich alleine gestellt.
Hallo Jonas, du bist seit ziemlich genau einem Jahr auf deiner Weltumrundung in den Triathlon-Disziplinen. Wie fühlst du dich so kurz vor dem Ziel auf der Laufstrecke?
Ein Jahr und vier Tage bin ich unterwegs und natürlich sehr, sehr müde mittlerweile. Jetzt gerade nach den 120 Marathons freue mich jetzt auf die Ankunft in Cancun. Es fühlt sich auch wirklich so an, als ob ich es da schon geschafft habe und dem Ziel entgegenkomme, weil danach nur noch die Strecke von Portugal nach München ansteht. Das sind zwar weitere 4000 Kilometer, aber in Europa ist es ja dann in meiner Paradedisziplin nur noch ausrollen. Ich freue mich unglaublich darauf, wieder Freunde und Familie zu sehen und – vor allen Dingen – mal Freizeit zu haben. Aktuell stehe ich jeden Morgen um 6 Uhr auf, um vor der Hitze laufen zu gehen. Einfach mal einen Tag zu haben, an dem man nichts zu tun hat. Darauf freue ich mich.
Wie kam es zu der ungewöhnlichen Idee zu dem Extrem-Triathlon, gingen dir nach deinen vorherigen Weltrekorden auf dem Rad die Herausforderungen aus?
Ganz genau. Die Idee für den Triathlon reifte während des Cape-to-Cape-Rekords. Als ich da durch die Sahara geradelt bin, kam der Gedanke auf, ‚ich habe es auf dem Fahrrad alles erreicht, was mich wirklich reizt. Ich brauche eine neue Disziplin, eine neue Herausforderung‘. Und als Abenteurer habe ich natürlich schon immer den Traum gehabt, die Welt zu umrunden. Klar, das ist das Größte, was es gibt. Warum also nicht als Triathlon? Drei verschiedene Disziplinen waren super interessant und abwechslungsreich. Es hat noch keiner gemacht, also kann ich der Erste sein.
Setzt man sich immer Zwischenziele, oder wie motivierst du dich, wenn noch ein Großteil vor dir liegt?
Das Wichtigste ist, immer positiv zu bleiben und große Ziele in kleine herunterzubrechen, denn 95 Prozent sind Kopfsache. Und ich habe natürlich immer meine Vision, meinen Traum: Du kommst in Cancun, Wladiwostok oder irgendwann in München an. Aber im Tagesgeschäft konzentriere ich mich auf das Heute, besonders beim Laufen. Ich laufe immer bis zu den nächsten Tacos in 20 Kilometern Entfernung. Dann geht es mir wieder besser. Beim Schwimmen war es für mich immer bis zur nächsten Bucht. Und das kleine Herunterbrechen ist unglaublich wichtig, wenn das Ziel so unfassbar weit weg ist.
Wie organisierst du die Logistik mit Blick auf die Versorgung unterwegs bzw. die Dreharbeiten?
Ich bin ca. 90 Prozent der Zeit komplett allein unterwegs und habe noch so ca. 10 Prozent der Zeit ein Filmteam bei mir, da wir ja auch einen Dokumentarfilm machen. Entweder ist es jemand aus Deutschland oder auch lokale Crews, die dann aber nicht kommen, um mir die ganze Zeit mein Essen zu reichen, sondern sie sind ausschließlich zum Filmen da. Die Termine mit Fotos und Dreharbeiten organisiert natürlich die Produktionsfirma. Meine eigene Logistik, wo ich schlafe, was zu essen bekomme etc., das organisiere ich selbst.
Schwimmen, Radfahren oder die Laufstrecke – was ist für dich die härteste der drei Disziplinen?
Ganz eindeutig, Schwimmen ist das mit Abstand Härteste, vor allen Dingen ohne Support. Das liegt ganz einfach daran, dass man im offenen Meer den Elementen ausgesetzt ist. Und die Logistik, wo du was zum Essen bekommst und wo du abends schläfst. Es ist der Horror, weil es so langsam ist. Laufen ist für den Körper auch unglaublich hart, weil einfach 120 Marathons den ganzen Körper brutal belasten. Radfahren ist in Russland auch nicht leicht, gerade im Winter. Aber abgesehen davon, wenn ich das jetzt mit Schwimmen und Laufen vergleiche, wirkt es auf dem Rad fast wie Urlaub.
Du erlebst auf deinen Weltrekordstrecken durch verschiedene Länder häufig die Gastfreundschaft Einheimischer. Erzähl‘ uns doch die schönste Anekdote dieser Tour!
Ja, in allen Ländern, in denen ich bisher war, sind die Leute nett und gastfreundlich. Wenn man auf dem Fahrrad ankommt oder läuft, wird man unterschiedlich wahrgenommen. Trotzdem sticht Mexiko heraus. So eine Gastfreundschaft wie hier habe ich noch nie erlebt. Jeder ist nett und lädt ein, sie sind lustig und fröhlich und machen Witze. Und ich habe mittlerweile jetzt auch teilweise 50, 100 Läufer, die hinter mir her rennen und bekomme auch andauernd irgendwelche Geschenke. Hier eine Anekdote: Ich bin in Oaxaca in Mexiko in ein kleines Dorf gekommen und wurde dort vom Bürgermeister erwartet. Alle Dorfbewohner wussten es schon, der Dorfplatz am Rathaus lag am Ende von einem langen Kopfsteinpflaster-Anstieg. Am Straßenrand versammelte sich das ganze Dorf, jubelte mir zu und jeder von denen hat mir irgendwas geschenkt. Obst, zwei Kilo Orangen oder Melonen, so Sachen. Und man darf in Mexiko Geschenke nicht ablehnen, man muss sie annehmen. Am Rathaus oben hatte ich 18 Liter Getränke in meinem Anhänger und es kaum noch geschafft, den Anhänger zu ziehen. Also, so nett sind die Leute, dass ich manchmal praktisch kaum mehr vorwärts komme.
Was hatte es mit dem Hund auf sich, durch den du in Mexiko landesweit im Fernsehen Berühmtheit erlangt hast?
Ich lief in Durango in den Bergen durch eine kleine Stadt namens El Salto. Dort begleitete mich eine Gruppe Läufer kehrte und nach 10 Kilometern um. Denen ist auch ein Hund gefolgt und dachte erst, der Hund gehöre zu den Läufern. Aber es stellte sich heraus, dass es ein Straßenhund namens La Coqueta ist, der denen immer folgt und einfach Lust hat, mitzulaufen. Sie ist mir weiter gefolgt, erst habe ich versucht, sie zurückzuschicken, aber La Coqueta blieb da, hat vorm Zelt übernachtet – und das ging dann für 130 Kilometer über drei Tage so. Ich kam dann in die Hauptstadt des Bundesstaates und da gab es einen großen Empfang vom Bürgermeister und auch mehrere nationale Fernsehsender waren da. Im Interview fragte ich, ob sie sie jemand adoptieren möchte, weil ich sie nicht mitnehmen könne. Und daraufhin meldete sich auch jemand aus ihrer Heimatstadt El Salto. Und man brachte sie dann auf einem Pick-up zurück, der Bürgermeister verlieh ihr sogar eine Medaille und La Coqueta wurde damit zur berühmtesten Hündin Mexikos. Ein Fernsehteam drehte eine Reportage über sie, ich bekomme ab und zu Fotos von ihr. Sie lebt mittlerweile in einer Familie, folgt immer noch regelmäßig den Läufern, es geht ihr gut. Und seitdem bin ich auch im nationalen Fernsehen und habe jeden Tag mehr Mitläufer bekommen.
Du wurdest „El Forrest Gump“ getauft. Wie fühlt sich das an?
Genau, beim Start in Tijuana kannte mich in Mexiko kaum jemand, abgesehen von ein paar Radfahrern. Jetzt kennt mich hier jeder. Ich werde wöchentlich im Fernsehen in den News gezeigt und sehe mich in jeder Stadt auf 20 verschiedenen News-Seiten – TV, Radio, Zeitungen, komplettes Programm. Ursprünglich verpasste mir ein Fernsehsender den Spitznamen und dann haben sie den alle adoptiert, also „der deutsche Forrest Gump“. Am Anfang ist es natürlich auch schön, wenn man Begleitung hat beim Laufen und es motiviert auch. Also es sind einfach manchmal bis zu 100 Leute, die mitlaufen. Und das kostet auch verdammt viel Kraft, ich werde ein paar Hundert Mal am Tag fotografiert, Autos halten, die Leute wollen auch nach dem täglichen Marathon ein Selfie machen. Ja, es zeigt beide Seiten. Es ist eine schöne Erfahrung, aber auch unglaublich kraftraubend. Ich bin auch froh, nicht überall auf der Welt so bekannt zu sein. Zumindest weiß ich jetzt, wie es sich anfühlt, wenn man berühmt ist.
Welche Probleme kommen auf, wenn man in einer Pandemie rund um den Globus unterwegs ist? Mit dem verweigerten Visum für Russland wäre die Mission ja beinahe gescheitert.
Ich hatte mit Corona-Beschränkungen praktisch gar keine Schwierigkeiten. Das Problem sind geschlossene Grenzen und natürlich auch die Ozean-Überquerungen. Ich saß erst in der Türkei fest und habe dann dort meine Ausnahmegenehmigung für Russland bekommen. Und auch damit über die Grenze zu kommen, war extrem schwierig. Genauso musste ich dann meine Route hier in Nordamerika ändern. Also, in der Hinsicht habe ich natürlich Zeit verloren und war zwei Monate langsamer wegen der Grenzsschließungen mit der gesamten Bürokratie, aber eben nur bei Grenzübertritten. Ansonsten ist alles kein Problem. Es gibt leider auch keine Mitfahrgelegenheiten auf Frachtschiffen, weil die natürlich aktuell keine Passagiere mitnehmen dürfen. Das sind so meine beiden großen Probleme wegen Corona. Andererseits hat es auch positive Seiten, es gibt in vielen Teilen der Welt kaum Touristen. Ich bin praktisch der einzige Ausländer und werde dementsprechend auch noch freundlicher behandelt. In Istanbul herrschte am Wochenende Lockdown für die Einheimischen, was aber nicht für Ausländer galt. Ich bin dann auf dem Highway mitten auf der Straße alleine und ohne ein einziges Auto rausgeradelt.
Schmiedest du jetzt schon Pläne für künftige Projekte, gibt es eine Liste von kommenden Abenteuern – Antarktis bzw. Himalaya hattest du mal erwähnt?
Ja klar, ich hatte jetzt genug Zeit, um über neue Projekte nachzudenken. Und wenn man dann so alleine durch die Wüste in Baja California rennt, tauchen viele neue verrückte Ideen auf. Ich weiß schon, was als nächstes Projekt kommt. Ich werde mich jetzt erst einmal ein paar Monate wirklich erholen, es erscheinen Film und Buch. Nach den Vorträgen irgendwann ist es aber auch irgendwann wieder Zeit, mich auf mein nächstes großes Abenteuer vorzubereiten. Das bleibt natürlich noch streng geheim, aber es ist auch etwas, was noch nicht gemacht wurde und ein sehr großes Projekt, auf das ich mich auch jetzt schon freue.
Apropos, wie groß ist Vorfreude auf München mit Familie, Freunden, Urlaubsplänen?
Die Vorfreude auf München ist riesig. Ich genieße die Reise, aber ich bin mehr als ein Jahr unterwegs und war jetzt – abgesehen von der Wartezeit in Wladiwostok und in der Türkei – jeden Tag woanders. Es wird schön sein, einfach mal einen Tag keine Verpflichtungen zu haben, wieder meine Freunde und Familie zu sehen und ausschlafen zu können.
Vielen Dank für deine Zeit – wir drücken die Daumen für den Endspurt!
Danke euch und viele Grüße!