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Die 19. Etappe des 101. Giro d’Italia brachte eine unvorhergesehene Wende im Rennen und eine neue Ordnung in das Gesamtklassement, mit der nicht mehr gerechnet wurde: Alle Augen waren auf den Kampf zwischen Tom Dumoulin (Team Sunweb) und Simon Yates (Mitchelton-Scott) gerichtet. Aber wie der Sport eben so läuft: Es kommt immer anders als man denkt. Die 19. Etappe änderte alles und der Tag in Alpen wird als einer der dramatischsten Tage in der Geschichte der Grand Tour eingehen.

Aber wo und wie beginnt man am besten, die 19. Etappe zu beschreiben? Chris Froome (Team Sky) war wahrscheinlich eine der größten unvorhergesehenen Entwicklungen nicht nur der Etappe, sondern des ganzen Giro d’Italia: Der viermalige Tour de France Sieger gewann die 19. Etappe. 80 Kilometer vor dem Ziel ging er zum Soloangriff über, der ihn erfolgreich über den Colle delle Finestre und ins Ziel in Jafferau brachte.

Chris Froome (Team Sky) siegt nach einer 80 Kilometer Einzelfahrt auf der 19. Etappe des Giro
Chris Froome (Team Sky) siegt nach einer 80-Kilometer-Einzelfahrt auf der 19. Etappe des Giro d’Italia und geht in die Führung der Gesamtwertung. Er liegt 40 Sekunden vor Titelverteidiger Tom Dumoulin (Team Sunweb). (Foto: Sirotti)

Noch vor einer Woche hatte man die Chancen von Chris Froome, den Giro d’Italia zu gewinnen, als nahezu nicht vorhanden eingestuft. Seine Leistung und Etappensieg auf Monte Zoncolan und während des Zeitfahrens hatten ihn zwar auf den Platz vier in der Gesamtwertung katapultiert, aber er lag noch 3:22 hinter Simon Yates (Mitchelton-Scott) und 2:54 hinter dem Titelverteidiger Tom Dumoulin (Team Sunweb).

Der Colle delle Finestre, gewaltig und respekteinflößend, war das Sahnestück der 19. Etappe. Es war auf diesem Pass, da sich das Rad des Schicksals für Froome und Yates wendete. Einen besseren Schauplatz hätte man sich nicht aussuchen können. Das Maglia Rosa, das bis dato auf dem Giro d’Italia großartige Leistung brachte und das Rennen schon für sich entschieden zu haben schien, zeigte schon früh erste Anzeichen von Müdigkeit und Erschöpfung.

Simon Yates (Mitchelton-Scott) brach auf dem Colle delle Finestre ein und musste die Gruppe ziehen lassen. Sein Traum vom Maglia Rosa in Rom innerhalb einer Etappe geplatzt. (Foto: Sirotti)
Simon Yates (Mitchelton-Scott) brach auf dem Colle delle Finestre ein und musste die Gruppe ziehen lassen. Sein Traum vom Maglia Rosa in Rom innerhalb einer Etappe geplatzt. (Foto: Sirotti)

Schon auf der 18. Etappe am Prato Nevoso konnte Yates mit seinen Mitstreitern nicht mehr mit der gleichen Spritzigkeit seinen Titel verteidigen, die man von ihm während des Giro d’Italia gewohnt war. Sein Einbruch auf dem Colle delle Finestre war ein weiteres Zeichen, dass die 18. Etappe für Yates nicht nur ein Moment der Schwäche sondern der Anfang vom Ende gewesen war.

Noch bevor das Peloton den ersten der vier Pässe der 19. Etappe, den Colle de Lys, erreichte, ging es unter den Fahrer hoch her. Immer wieder versuchten Fahrer in einer Fluchtgruppe zusammenzukommen. Letztendlich etablierte sich eine Gruppe von neun Fahrern, die sich bis zum Colle delle Finestere einen Abstand von einer Minute rausfahren konnten. In der Gruppe befanden sich Luis Leon Sanchez (Astana), Matteo Montaguti (AG2R), Nathan Brown (EF-Drapac), Koen Bouwman und Danny Van Poppel (LottoNL-Jumbo) und Darwin Atapuma und Valerio Conti (UAE Team Emirates).

Während Froome mit über drei Minuten Vorsprung den letzten Pass der 19. Etappe eroberte, kämpfte Dumoulin mit der Verfolgergruppe um Anschluss und Schadensbegrenzung. (Foto: Sirotti)
Während Froome mit über drei Minuten Vorsprung den letzten Pass der 19. Etappe eroberte, kämpfte Dumoulin mit der Verfolgergruppe um Anschluss und Schadensbegrenzung. (Foto: Sirotti)

Als das Gruppetto den Finestre erreichten lag weniger als eine Minute zwischen den neun Ausreißern und dem Peloton. Und es dauerte nicht lange und er übermächtige Team-Sky-Zug erschien wie aus dem Nichts an der Spitze des Peloton und setzte ein scharfes und hartes Tempo. Yates im Maglia Rosa verlor rasch den Anschluss an die Gruppe und fiel zurück. Es war schnell klar:  Seine Zeit war abgelaufen.

Team Sky rollte unerbittlich weiter und sogar Henao wurde von der Gruppe zurückgelassen. Durch das aggressive Tempo und die starke Leistung von Team Sky hatte sich das Peloton schon stark gelichtet, aber als Elissonde das Tempo nocheinmal hart anzog, war es um viele geschehen. Pozzovivo, auf Platz drei in der Gesamtwertung, kam in Schwierigkeiten. Dumoulin ein wenig später, als Froome noch eine Schippe drauflegte und von dem Titelverteidiger davonzog.

Thiabaut Pinot und Carapaz waren die einzigen, die mit Froome mithalten konnten, Reichenbach und Lopez in nicht allzu weiter Ferne. Auch wenn man es nicht glauben konnte, was sich da abspielte, es war schnell klar: Chris Froome spielte kein Spiel, der Team Sky Fahrer bluffte nicht, er war wirklich drauf und dran, 80 Kilometer vor dem Ziel einen Einzelangriff zu wagen. Und genau das tat er.

Anfangs konnte Dumoulin den Abstand zu seinem Rivalen auf 15 Sekunden beschränken. Das änderte sich schlagartig, als Froome zwei Kilometer vor der Passhöhe wiederum beschleunigte, was den Abstand auf 40 Sekunden anwachsen ließ. Dumoulin, Pinot und Reichenbach überquerten den Finestre 38 Sekunden hinter dem Briten, Pozzovivo, O’Connor, Bennett, Bilbao, Poels und Oomen 2:15 hinter ihnen. Simon Yates erschien erst nach 15 Minuten und es war klar zu erkennen, dass er nur noch um das Überleben kämpfte.

Nach fast drei Wochen harten Rennens liegt noch eine Bergetappe zwischen den Fahrern und das Ziel in Rom. Für viele erschöpfte Fahrer kann Rom nicht schnell genug kommen. (Foto: Sirotti)
Nach fast drei Wochen harten Rennens liegt noch eine Bergetappe zwischen den Fahrern und dem Ziel in Rom. Für viele erschöpfte Fahrer kann Rom nicht schnell genug kommen. (Foto: Sirotti)

Auf dem Weg vom Colle delle Finestre zum dritten Pass, dem Sestrière, konnte Froome seinen Vorteil zu seinen Mitstreitern wirklich ausbauen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde es offensichtlich, dass es nicht nur um einen Etappensieg, sondern auch um die Führung im Gesamtklassement gehen könnte. Das Maglia Rosa stand auf dem Spiel. Froome erweiterte seinen Vorsprung auf der Abfahrt auf eine Minute, der auf dem flachen Teilstück im Tal auf 1:40 anwuchs. Dumoulin und Reichenbach waren die einzigen, die willens waren zu versuchen, Froome wieder einzuholen. Aber ihre Bemühungen waren vergebens und der Abstand wuchs unaufhaltsam an. Am Fuß des Sestrière angekommen hatte Froome 1:52 Vorsprung, auf der Passhöhe schon 2:45 und das Maglia Rosa in greifbarer Nähe.

Wieder war Froome auf der Abfahrt schneller als seine Verfolger und erreichte das 15 Kilometer lange Flachstück, das ihn und den Rest der Fahrer zum letzten Pass führte. Man hätte erwartet, dass spätestens jetzt eine Gruppe zusammenarbeiten würde, um den Einzelkämpfer einzuholen. Aber die Gruppe mit Dumoulin bestand aus drei von fünf Fahrern, die entschlossen waren, sich für eine Verfolgungsjagd einzusetzen. Froomes Vorteil auf seine Verfolger wuchs auf über drei Minuten.

Der letzte Pass, Jafferau, präsentierte den Fahrern mit seinen Steigungen im zweistelligen Bereich zum Schluss noch einmal eine harte Herausforderung. Froome schien im ersten Moment seine Kräfte im Tal gelassen zu haben, sein Vorsprung begann innerhalb eines Kilometers von 3:30 auf 3:15 zu fallen. Aber der Sky-Fahrer sammelte seine gesamten Kräfte und zog wieder auf und davon. Seine Verfolger gaben Gas, sechs Kilometer vor dem Ziel fiel Dumoulin zurück.

Der Titelverteidiger schaffte es, sich wieder an die Gruppe heranzuarbeiten. Pinot ging zum Angriff über, wurde aber kurz darauf von Dumoulin und dem Grupetto wieder eingeholt. Kurz darauf kam es zu einer Attacke von Lopez und Carapaz: Lopez ging als erster, Carapaz parierte, Pinot folgte und Dumoulin zog mit. Dumoulin arbeitete sich an die Spitze des Gruppetto, befand sich aber schon bald wieder in der Defensive als Lopez wiederum angriff und das Trio dem Holländer davonzog. Dumoulin liess sich nicht beirren und schaffte es mit seinem gleichmäßigen Tempo wieder an das Trio heran. Die vier Fahrer entschlossen sich, die letzten paar hundert Meter zum Ziel zusammen zu fahren.

Froome im Maglia Rosa: Wird er es bis Rom verteidigen können? Die 20. Etappe wird es entscheiden. (Foto: Sirotti)
Froome im Maglia Rosa: Wird er es bis Rom verteidigen können? Die 20. Etappe wird es entscheiden. (Foto: Sirotti)

Währenddessen erreichte Froome mit einem Vorsprung von 3:10 den letzten Kilomter. Er hatte einen weiteren Etappensieg, das Maglia Rosa und den 101. Giro d’Italia auf den Kopf gestellt und eine neue Ordnung in das Rennen gebracht.

„Ich glaube nicht, dass ich jemals 80 Kilometer vor dem Ziel angegriffen habe und dann alleine zum Ziel gekommen bin. Aber das Team hat tolle Arbeit geleistet und hat mir die Möglichkeit gegeben“, sagte Froome. „Als erstes mussten wir versuchen Simon Yates abzuhängen und Dumoulin und Pozzvivo zu distanzieren. Auf dem letzten Pass zu versuchen, sich vom vierten auf den ersten Platz vorzuarbeiten würde nicht klappen. Also musste ich es so früh wie möglich, auf dem Colle de Finestre, versuchen. Ich dachte, jetzt oder nie. Ich muss es wagen.“

„Es ist einfach nur noch großartig. Morgen ist noch einmal ein harter Tag, aber meine Beine fühlen sich gut an. Und mir geht es von Tag zu Tag besser“, fügte er hinzu. „Heute habe ich alles gegeben, aber ich musste auch aufpassen, dass ich mich nicht total verausgabe und über meine Grenzen gehe. Hoffentlich können wir diese Rennen morgen zu Ende bringen.“

Froome führt das Gesamtklassement des 101. Giro d’Italia um 40 Sekunden vor Dumoulin und 4:17 vor Pinot. Eine Bergetappe samt Zielankunft am Berg liegt zwischen dem Briten und der Ankunft in Rom. Froome hat jede Chance, seinen dritten Grand Tour Sieg in Folge, seinen ersten Sieg beim Giro d’Italia und seinen sechsten Grand-Tour-Sieg zu erringen.

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